Innovative Kernreaktoren für die Energiewende
Rückblick auf die Vortragsveranstaltung
mit Prof. em. Dr. Horst-Michael Prasser am 25. April 2024
mit Prof. em. Dr. Horst-Michael Prasser am 25. April 2024
„Habecks Geheimakten – Wie die Grünen beim Atomausstieg getäuscht haben“, titelt das Magazin „Cicero“ in seinem Leitartikel vom 26. April 2024. Mitte April 2023 gingen nach einem kurzen Streckbetrieb über den Winter die verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke vom Netz. Nun zeigen bislang geheim gehaltene und durch Cicero freigeklagte Akten des Wirtschaftsministeriums, wie einflussreiche Netzwerke der Grünen die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke durch Vertuschung, Verdrehung und Verschweigen von Fakten manipuliert haben sollen, um auf diese Weise den Atomausstieg durchzusetzen. Aus den Dokumenten geht hervor: Für Wissenschaftler und Experten war klar: Nach dem Ausfall russischer Gaslieferungen schien das Risiko flächendeckender Stromausfälle und explodierender Strompreise zu hoch, als dass man sich den Kernenergieausstieg noch hätte leisten können. Dieser sollte wohl um jeden Preis durchgesetzt werden, notfalls gegen jegliche wissenschaftliche und wirtschaftliche Vernunft. Ein Jahr nach dem Kernenergieausstieg ist die Diskussion um dessen Rechtmäßigkeit neu entbrannt. Mit diesem Vorwort wurde die Veranstaltung durch Moderator Dr. Björn Peters vom FWP eröffnet.
Der Referent Horst-Michael Prasser, Jahrgang 1955, war von 2006 bis 2021 Professor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich und präsentierte einen Überblick über die heute und zukünftig zur Energieversorgung verfügbare Nukleartechnik. Zu Beginn seines Vortrags mahnt er: „Wer von vornherein einseitig die Kernenergie aus dem Energieportfolio streicht, der setzt sich einem sehr hohen Risiko aus und ich meine – Deutschland ist auf dem besten Weg, dieses Risiko auch zu spüren, wenn es nicht sogar bereits zum Schaden geworden ist.“ Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und damit der Lebensstandard der gesamten Bevölkerung hängen entscheidend von der (Kern-)Energieverfügbarkeit ab. Denn Elektrizität stehe gewissermassen „am Anfang der industriellen Nahrungskette“.
Die Vortragsfolien finden Sie zum genaueren Studieren hier:
Innovative Kernreaktoren für die Energiewende – Prof. em. Dr. Horst-Michael Prasser
Heute für den Neubau zur Verfügung stehende und in einigen Ländern bereits in Betrieb befindliche Kernkraftwerkstypen besitzen Leichtwasserreaktoren, die zur sog. Generation III gezählt werden. Ausführlich geht Prof. Prasser auf den Sicherheitsstandard dieser Kernkraftwerke ein. Eine Freisetzung von radioaktiven Stoffen aus den Brennstäben passiere erst, wenn es nicht gelingt, sie nach Unterbrechung der Kettenreaktion mit Wasser überdeckt zu halten. Bisher musste dafür stets eine Notstromversorgung gewährleistet bleiben, die eine Schwachstelle darstellt.
Mit der Technik der dritten Generation wird dieses Problem entschärft: Sie sind durch ein neues, hohes Niveau von Autarkie, Autonomie und Robustheit gekennzeichnet.
- Autarkie meint die Entkopplung von der Notwendigkeit einer externen Stromquelle durch sogenannte passive Sicherheitssysteme (manche Anbieter setzen alternativ auf eine starke und zuverlässige Bunkerung der Notstromsysteme);
- Autonomie lässt den Faktor Mensch zurückdrängen, um Fehlern des Operators entgegenzuwirken. Typischerweise werden 72Stunden gefordert, bevor Aktionen der Operateure notwendig werden. Vorher wird es den Operateuren unmöglich gemacht, einmal angesprungene Sicherheitssysteme abzuschalten;
- Robustheit ist der Schutz vorUmwelteinflüssen, der beispielsweise in Fukushima gerade nicht in ausreichendem Umfang gegeben war.
Ergänzend kommt eine sog. Kernrückhaltung hinzu – Einrichtungen, die geschmolzenen Kernbrennstoff im Reaktorgebäude sicher einschließen und abkühlen können. Möglich wird dies entweder im Reaktorbehälter durch die Kühlung seiner Außenwand oder durch einen sogenannten „Core Catcher“ unter dem Reaktor.
„Mit diesen Reaktoren wäre Fukushima nicht passiert“, so Prof. Prasser. „Die Entwicklung der Generation III hatte es sich zur Aufgabe gemacht, technische Systeme vorzuhalten, welche die Auswirkungen aller denkbaren Störfälle auf die Anlage selbst begrenzen können“, was nach Ansicht des Professors erreicht wurde. Ein Restrisiko einer großen Freisetzung radioaktiver Stoffe bestünde nur im äußerst schwer vorstellbaren Fall, derart einfache, robuste und mehrfach vorhandene Systeme würden bei Bedarf nicht funktionieren.
Weitere große Potenziale in der Kernenergie ergeben sich bei Umstellung auf einen geschlossenen Brennstoffzyklus mit Reaktoren der Generation IV, die für die Spaltung schnelle Neutronen verwenden. Er erlaubt die konsequente Nutzung von nicht spaltbarem Uran 238, das heute beispielsweise in großen Mengen bei der Urananreicherung anfällt. Dadurch wird in Reaktoren zukünftiger Generationen der Umwelteinfluss der Kernenergie je produzierter Kilowattstunde noch weiter drastisch gesenkt. Unter Transmutation, ebenfalls ein Element des geschlossenen Brennstoffzyklus, ist die potenzielle Nutzung eines Teils des Abfalls zur Energiegewinnung zu verstehen. Dabei wird der Abfall weitgehend von langlebigen, Alphastrahlung aussendenden und deshalb stark radiotoxischen Bestandteilen befreit – vorrangig von den Transuranelementen wie Plutonium, Americium und Curium. Dies entlastet die Entsorgung radioaktiver Abfälle, wobei dennoch immer Tiefenlager für hochaktive Abfälle benötigt werden, wenngleich sie dann nur für wesentlich kürzere Einschlusszeiten ausgelegt werden müssen. Auch müsse man bedenken, dass der geschlossene Brennstoffzyklus eine Akzeptanz für den Umgang mit den toxischen Transuran-Isotopen in Anlagen über Tage geben muss, während bei der heutigen direkten Entsorgung alle Abfälle in tiefe geologische Formationen eingebracht werden sollen.
Prof. Prasser spricht auch die kleinen modularen Reaktoren – die sog. Small Modular Reactors (SMR) – an. „Diese überschneiden die Generation III und IV. Einige verfolgen zusätzlich exotische Ansätze, welche der Generation IV und der Generation III nahestehen.“ Bei den etwa 50 existierenden Konzepten reiche das Spektrum von ersten guten Ideen über grundlegende Konstruktionsansätze bis zu baureifen Prototypen und sogar einigen wenigen in Betrieb befindlichen Anlagen. Diese fortgeschrittenen Reaktoren weisen eine geringere Leistung im Vergleich zu den großen Kernkraftwerken auf und erzeugen Strom bis zu etwa 300 MWel pro Modul. Hiermit soll eine Verringerung der Baukosten erreicht werden, indem der Reaktor kompakt und modular aufgebaut und in Serie gefertigt werden kann. SMR verfügen über fortschrittliche technische Merkmale, sind wahlweise als Einzel- oder Mehrmodulanlage ausgelegt und werden so konzipiert, dass sie in Fabriken gebaut und bei Bedarf zur Installation an Versorgungsunternehmen geliefert werden können.
Als Beispiele für SMR, die sich tatsächlich im Bau befinden, führt Prof. Prasser den ACP-100 in China mit 125 MW, der im Jahr 2027 in Betrieb gehen soll, und den BWRX-300 von General Electric-Hitachi in Kanada an. Ein Kernkraftwerk mit zwei modularen Kugelhaufenreaktoren mit einer Gesamtleistung von 200 MW ist in China bereits in Betrieb. Prasser erinnert jedoch daran, dass Großkraftwerke derzeit das Baugeschehen dominieren und dass ein rascher Ausbau für einen effektiven Klimaschutz wünschenswert sei.
Als Beispiel für einen Kleinen Modularen Reaktor, welcher der Generation IV zugeordnet werden kann und für den bereits eine Baugenehmigung beantragt wurde, kann der Natrium von TerraPower angeführt werden – der Firma von Bill Gates, der, wie der Name bereits sagt, mit geschmolzenem Natrium als Kühlmittel arbeitet und dadurch mit schnellen Neutronen sowohl neuen Spaltstoff erbrüten als auch Transurane im Abfall verbrennen kann. Mit einem Wärmespeicher auf Salzschmelzebasis verbunden, kann die ans Netz abgegebene Leistung schnell an eine wechselnde Nachfrage angepasst werden, was wichtig ist, wenn viele regenerative Energiequellen im Strommix vorhanden sind. Noch weiter entfernt vom praktischen Einsatz ist der mit Thorium betriebene und schwerwassermoderierte Salzschmelzereaktor von Copenhagen Atomics. Hier besteht der Hauptgedanke in der Wiederverwendung des spaltstoffhaltigen Salzes, wogegen der Reaktor selbst einfach und kostengünstig gehalten werden soll. Dadurch vereinfacht sich die Beherrschung von Materialproblemen, da der Reaktor selbst nach kürzeren Betriebsphasen ausgetauscht werden soll, bevor die Materialalterung Probleme bereiten könnte.
In vielen, auch europäischen, Industrienationen wird die Kernenergie ausgebaut. Zusammenfassend betrachtet Prof. em. Dr. Horst-Michael Prasser die Kernenergie als notwendiges Element im Energiemix, ohne die die notwendige Reduktion der Treibhausgasemissionen nicht erreicht werden kann. Da seiner Meinung nach das Tempo der Maßnahmen zur CO2-Reduktion erhöht werden muss, sollte man die heute verfügbaren Großanlagen der Generation III und die dieser Generation entsprechenden Kleinen Modularen Reaktoren unbedingt einbeziehen. Bei alleinigem Fokus auf die Generation IV würde zu viel Zeit verloren gehen. Dort sollte man in breiter Front vorgehen und Forschung und Entwicklung mit den nötigen Mitteln ausstatten.
Auf die kürzlich abgeschalteten deutschen Kernkraftanlagen angesprochen, führt Prasser aus, dass an ihnen Sicherheitssysteme wie eine gefilterte Druckentlastung des Containments und passive Wasserstoffrekombinatoren schon vor der Jahrtausendwende nachgerüstet wurden. Damit war ein Zustand erreicht, der den Eigenschaften der Generation III bereits nahekommt. Die Filter hätten bei schweren Störfällen die Freisetzung von radioaktiven Aerosolen verhindert, die die umliegenden Gebiete kontaminieren würden. Die Wasserstoffrekombinatoren verhindern beispielsweise Explosionen wie die der Reaktorgebäude in Fukushima. Seit dem Jahr 1981 gehören gebunkerte Notstandssysteme, sogenannte „Notspeisegebäude“, zur Grundausstattung der deutschen Kernkraftwerke. Sie machen die Werke robust gegen externe Einwirkungen wie Überflutungen, Erdbeben und Flugzeugabstürze.
Weitergehende Informationen zu den Generationen von Kernreaktoren in einem Vortrag von Prasser auf der Tagung „Kernenergie – Wann steigt Deutschland wieder ein?“ vom 26. Oktober 2023 in Frankfurt am Main an der Akademie Bergstrasse:
Link zum Vortrag: https://www.youtube.com/watch?v=E8jWVvvtxV8
Link zur Tagung: https://www.akademie-bergstrasse.de/kernenergie-tagung-2023