Wie bedroht ist unsere Stromnetzstabilität wirklich?

Rückblick auf die Vortragsveranstaltung mit Prof. Dr.-Ing. Wolfram Wellßow am 27. Oktober 2022

Ein voller Vortragssaal bewies das überragende Interesse an Thema und Referenten.

Die Zuverlässigkeit der öffentlichen Stromversorgung bzw. die Gefahr eines Blackouts wird derzeit in der Öffentlichkeit und in den Medien breit diskutiert. Der Vortrag hatte zum Ziel, etwas mehr Klarheit in die Debatte einzubringen und die weitverbreiteten Befürchtungen einzuordnen.

Zunächst ist festzuhalten, dass ein Blackout grundsätzlich jederzeit und unabhängig von der derzeitigen drohenden Mangellage eintreten kann, nämlich dann wenn das Energieversorgungssystem über seine Auslegungsgrenzen hinaus belastet wird, etwa durch besonders schwere Störfälle oder Sabotage. Dies ist jedoch äußerst unwahrscheinlich und seit dem Bestehen des europäischen Verbundbetriebes in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts noch nicht vorgekommen. Man kann jedoch vermuten, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Blackout in diesem Winter gestiegen ist, weil ein gestresstes System über weniger Reserven verfügt. Genau beziffern lässt sich das kaum, denn dazu müsste man alle denkbaren Störfälle durchrechnen und auch noch deren Wahrscheinlichkeiten kennen, also z.B. auch wie wahrscheinlich ein Cyberangriff erfolgreich sein könnte.

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Zu unterscheiden ist zwischen Blackout, Brownout, rollierenden Stromabschaltungen und „normalen“ Versorgungunterbrechungen. Ein Blackout ist ein großflächiger oder vollständiger Systemzusammenbruch. Ausgangspunkt ist immer eine Störung, die über die Auslegungskriterien hinausgeht und für die die automatischen Regelungen und Barrieren nicht ausreichen, so dass die Betriebsführer in den Hauptschaltleitungen die Kontrolle verlieren. Ein Brownout ist hingegen ein gezielter Lastabwurf ausgewählter Netzbereiche bzw. Kunden, d.h. die Barrieren funktionieren und reichen aus um das System am Leben zu halten und die Betriebsführer behalten die Kontrolle. Rollierende Stromabschaltungen sind manuelle Abschaltungen ausgewählter Netzbereiche bzw. Kunden für z.B. 2 h um einen vorhersehbaren Mangel an Erzeugungsleistung auszugleichen. Versorgungsunterbrechungen haben ihren Ursprung meist in lokalen Netzstörungen z.B. wegen eines Kabelfehlers in den Verteilungsnetzen. Sie sind Tagesgeschäft und gefährden das Gesamtsystem in keiner Wiese.

Aufgrund der Gasmangellage als Folge des Ukrainekrieges besteht die Befürchtung, dass einerseits gasbefeuerte Kraftwerke außer Betrieb gehen müssen, andererseits vor allem Privathaushalte in Kälteperioden vermehrt elektrische Heizlüfter einsetzen könnten. Das könnte zu einer Steigerung der Stromnachfrage bei gleichzeitig verringerter Erzeugungskapazität führen. Dazu muss man wissen, dass Erzeugung und Last im europäischen Verbund jederzeit sekundengenau ausgeglichen sein müssen, da es sonst zu einer Frequenzabweichung kommt. Übersteigt diese 2,5 Hz trennen sich alle Erzeugungsanlagen zum Teil automatisch vom Netz und Gefährdungen der Anlagen zu vermeiden. Dies würde einen europaweiten Systemzusammenbruch bedeuten.

Um die Situation besser einschätzen zu können, haben die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber im Auftrag der Bundesregierung einen sogenannten „Stresstest“ durchgeführt. Dazu wurden drei Szenarien durchsimuliert, denen worst-case Annahmen zugrunde liegen. Diese umfassen u.a. die Wetterbedingungen, die Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke, den Umfang der Gasversorgung, die Rückkehr von bereits aus dem Markt genommenen Kohlekraftwerken sowie den Weiterbetrieb der drei noch verbliebenen deutschen Kernkraftwerke. Als Ergebnis kann festgestellt werden, dass es in zwei der drei Szenarien im Verlauf des Winters in wenigen Stunden zu Mangelsituationen in Deutschland kommen kann, wohlgemerkt unter sehr pessimistischen Annahmen. Besorgniserregend sind jedoch die Netzengpässe für den Stromtransport vom Norden in den Süden Deutschlands. Um diese auszugleichen und einen sicheren Netzbetrieb zu gewährleisten müssen im Süden für den sog. Redispatch insgesamt 16,8 GW Kraftwerksleistung mobilisiert werden, davon bis zu 4,6 GW aus den im Süden angrenzenden Nachbarländern, die nicht vertraglich abgesichert sind. Vor dem Hintergrund, dass auch unsere Nachbarn einer Mangelsituation ausgesetzt sind, muss befürchtet werden, dass diese Kapazität zur Lösung hausgemachter deutscher Probleme nicht bereitgestellt werden kann. Die genannten Zahlen berücksichtigen bereits den Weiterbetrieb der drei Kernkraftwerke, wie sie inzwischen von der Bundesregierung beschlossen worden ist.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es im kommenden Winter in wenigen Stunden zu einer Strommangellage kommt, entweder weil insgesamt nicht genug Erzeugungsleistung zur Verfügung steht oder, wahrscheinlicher noch, weil die Netzkapazität nicht ausreicht, um diese zu den Verbrauchern zu transportieren. In diesem Fall würden die Übertragungsnetzbetreiber als ultima ratio zu rollierenden Stromabschaltungen greifen. Sie sind dazu nicht nur berechtigt sondern sogar gesetzlich verpflichtet. Sollte es dann noch zu einer Großstörung kommen ist ein Blackout nicht auszuschließen. Allerdings würde auch dies nicht den Untergang des Abendlandes bedeuten, denn selbstverständlich stehen für den Fall der Fälle ausgeklügelte Notfallpläne für den Netz- und Versorgungswiederaufbau zur Verfügung und selbstverständlich wird dies auch regelmäßig trainiert. Nach längstens einem Tag sollten alle Kunden wiederversorgt sein, die meisten deutlich schneller. Einen Minivorrat an Getränken und Lebensmitteln sollte jeder Haushalt dennoch bereithalten. Und wir sollten als Gesellschaft endlich unsere Hausaufgaben in Bezug auf erneuerbare Erzeugungsanlagen, Netzausbau und Speicher erledigen und nicht weiter die Folgen unserer Versäumnisse auf die Nachbarn abwälzen.

Die an den Vortrag anschließende lebhafte und offene Diskussion brachte insbesondere den politischen Umgang mit Optionen und Energiereserven zum Ausdruck. Spürbar war eine sehr ernste Besorgnis der Zuhörer zur Energieversorgungssicherheit, insbesondere auch für den Winter 2023/24, die man wohl als repräsentativ für weite Teile der Bevölkerung ansehen muss. Andiskutierte Fragen des Netzdesigns, der Marktbeschaffenheit und spezifischer Energieerzeugungsmethoden, Optionen und damit verbundene Risiken sowie Forderungen an die Politik kamen zur Sprache konnten aber im Rahmen des enger gefassten Vortragsthemas nicht wirklich behandelt werden. Und selbstverständlich gingen hier die Bewertungen zum Teil auseinander. Wie sollte es beim FWP auch anders sein, einem Forum das sich dem freien und unabhängigen Diskurs verpflichtet sieht. Das Thema Energie wird in all seinen Facetten und speziellen Technologiebereichen noch reichlich Stoff für weitere Vorträge bieten.

Wir danken dem Referenten Prof. Dr. Ing. Wolfram Wellßow für seinen herausragend sachkundigen und hochinteressanten Vortrag.