30 Jahre Deutsche Einheit – was bleibt?
Rückblick auf die Vortragsveranstaltung mit Prof. Dr. Bernhard Vogel 27.08.2020
Am 27.08.2020 fand im Heinrich-Pesch-Haus ein Vortrag mit Herrn Professor Dr. Bernhard Vogel zum Thema „30 Jahre Deutsche Einheit – was bleibt?“ statt. Veranstalter war das „Forum Wissenschaft, Wirtschaft und Politik (FWP)“, ein Freundeskreis, der sich zum Ziel gesetzt hat, in 6 Vorträgen pro Jahr über aktuelle Themen unserer Zeit einen Beitrag zur Erhaltung und Weiterentwicklung unserer demokratischen Grundwerte zu leisten. Die Veranstaltung fand unter Corona-Bedingungen mit ca. 90 Personen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft statt. Herr Professor Vogel ist mit seinem Bruder Hans-Jochen Vogel, der Ende Juli leider gestorben ist, das bekannteste Politikbrüderpaar unseres Landes. Er ist mit 23 Dienstjahren der erfahrenste Ministerpräsident unseres Landes und der einzige, der in zwei Ländern als Ministerpräsident tätig war.
Herr Professor Vogel wies einleitend darauf hin, dass Corona vieles in der Welt verändert hat und so viele aktuelle Themen erstaunlich rasch in den Hintergrund getreten sind. Wir müssen aber zu Themen von heute Stellung nehmen. Wir feiern am 3. Oktober 30 Jahre Wiedervereinigung. Damals wurde die deutsche Frage – ein Jahrhundertproblem – gelöst, ein Grund für Dankbarkeit und Freude und nicht für die üblich gewordenen Klagen. Dankbar sollten wir sein gegenüber den Menschen in der DDR, die im Herbst 1989 friedlich demonstriert haben. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hat damals die historische Chance erkannt und den Augenblick genutzt. Präsident Gorbatschow ließ seine Truppen in den Kasernen. Präsident George Bush (sen.) stand für die historische Aufgabe im Gegensatz zu den Führern der anderen Westalliierten, die zunächst gegen die Einheit des deutschen Volkes waren. „Die Wiedervereinigung kam über Nacht, niemand hat in diesem Augenblick mit ihr gerechnet.“
Am 27.01.1992 wurde Professor Vogel in München von Dr. Kohl angerufen und noch am Abend fuhr er „ohne Zahnbürste“ nach Erfurt und bleibt dort gut 11 Jahre als Ministerpräsident. Das Regieren hatte er in Mainz gelernt, aber das Telefonieren in Erfurt bereitete zunächst Probleme. Professor Vogel berichtete in eindrucksvoller Weise von den Schwierigkeiten bei der Regierungsarbeit. Am Schwierigsten war der Umbau der sozialistischen Planwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft. Umbau ist schwieriger als Neuaufbau. Später als erhofft, gibt es jetzt im Osten „blühende Landschaften“, aber nicht überall, im Westen aber auch nicht. Alles in allem ist die Wiedervereinigung gelungen. Es ist aber noch zu früh für eine abschließende Schlussbilanz. Noch immer hat der Osten Nachholbedarf (z.B. Rentenhöhe, Vermögensverhältnisse). Es liegen noch Aufgaben vor uns. „Wir wollen kein Einheitsdeutschland aber vergleichbare Lebensverhältnisse“. Das Gerede von Wessis und Ossis sollte man endgültig einstellen.
In einem 2. Teil ging Herr Professor Vogel in einer Tour d’Horizon auf fast alle aktuellen politischen Probleme unserer Zeit ein: Von Belarus über USA unter Trump, China („hat Chancen, zur Weltmacht Nr. 1 aufzusteigen“), die Bedeutung der EU, den EU-Austritt von Großbritannien, die Probleme mit den ostmitteleuropäischen Staaten in der EU, die Türkei („EU-Mitgliedschaft kommt nicht in Frage“), die Finanzhilfen in der EU („nur Hilfe zur Selbsthilfe“, Subsidiarität ist geboten), die Flüchtlingsproblematik („ein Jahrhundertproblem“) bis zum Klimawandel.
Abschließend warf Professor Vogel einen Blick auf uns selbst. Wir sind heute eines der wohlhabendsten Länder der Welt. „Es geht uns besser als es uns je zuvor gegangen ist und trotzdem herrscht Unzufriedenheit. Viele haben Angst, es könnte uns in Zukunft schlechter gehen (Hauptursache für das Erstarken der AfD)“. Die Generation von heute steht vor einer Fülle von Herausforderungen. Professor Vogel möchte Mut machen, dass die jungen Leute anpacken, um die Aufgaben zu lösen.
Nach seinem Vortrag stellt er sich einer 40-minütigen Diskussion. Alle Fragen, auch kritische, beantwortete er als erfahrener Politiker in eindrucksvoller Weise. Es ist bewundernswert, wie Herr Professor Vogel, der in drei Monaten 88 Jahre alt wird, die 2-stündige Veranstaltung mit Konzept, aber weitgehend freisprechend, meisterte. Das Publikum dankte ihm während des Vortrages und nach der Diskussion mit viel Beifall.