Standortnachteil Energie: Was Deutschland braucht, um die Transformation erfolgreich zu gestalten

Rückblick auf die Vortragsveranstaltung
mit Prof. Achim Wambach, PhD am 29. August 2024

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist angespannt. Deutschlands Wirtschaftsmotor stottert, der Export schwächelt. Prof. Achim Wambach, Ph.D., seit April 2016 Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, widmete sich der Frage, was Deutschland braucht, um die Transformation erfolgreich zu gestalten. Wambach promovierte in Physik an der Universität Oxford und erwarb danach einen Master of Science in Economics an der London School of Economics.

Die Konjunkturerwartungen in der Bundesrepublik brechen ein. Die Inflation habe ihren Höhepunkt – nach hoher inflationärer Belastung – überschritten. Die Inflationsrate sei aktuell unter die 2-Prozent-Marke gesunken. Dies stelle aber noch keine Entwarnung dar, mahnte Wambach. Entscheidend für die Zukunft werde sein, inwieweit sich dieser Inflationsschock in den Zweitrundeneffekten auf die Löhne und Preise der Unternehmen in Europa auswirkt. Es sehe aber ganz gut aus, was  insbesondere auf das umsichtige Vorgehen der EZB zurückzuführen sei. Die Thematik sei aber noch nicht abgeschlossen, daher handele auch die EZB nach der massiven Zinserhöhung noch verhalten bei den Zinssenkungsschritten.

Die Bundesrepublik hat mit erheblichen Standortnachteilen zu kämpfen. Der Standort Deutschland schwächelt. Im vergangenen Jahr sank das deutsche Bruttoinlandsprodukt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 0,2 Prozent. Das liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt und es mehren sich die Zweifel am deutschen Wirtschaftsmodell. Der Wegfall billigen Gases belastet die Industrie, zunehmende internationale Spannungen erschweren den Handel und die über Jahrzehnte aufgebaute Friedensdividende ist aufgebraucht. Der Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie, hohe Energiepreise und beträchtliche Steuerabgaben belasten die Wirtschaft.

In Umfragen habe die Problematik des Fachkräftemangels die Problematik des fehlenden Zugangs zur Unternehmensfinanzierung abgelöst, so Wambach. In einigen Bereichen sehe das ZEW den starken Fachkräftemangel, in anderen Sektoren seien aufgrund der schwächelnden Wirtschaftssituation aber bereits Entlassungen zu beklagen und damit einhergehend ein Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Die hohe Unternehmensbesteuerung wirke sich ebenfalls negativ auf den Standort Deutschland aus. In der Vergangenheit war Deutschland bei der Besteuerung von Unternehmen im Mittelfeld platziert. Seitdem haben Länder wie die USA, Großbritannien  und Frankreich Steuersenkungen vorgenommen, wodurch sich die Bundesrepublik zu einem Hochsteuerland wurde. „Das lässt sich nicht auf Dauer durchhalten“, mahnte Wambach. Es liege ausreichend Evidenz vor, dass Unternehmen bei ihren Investitionsentscheidung auf die steuerliche Belastung achten.

Die Wirtschaft sehe sich weiterhin mit außergewöhnlichen Bürokratielasten konfrontiert. Das Lieferkettengesetz oder die Nachhaltigkeitsberichterstattung seien extrem belastend für die Unternehmen und stellen sich auch belastender als bei den Nachbarländern dar. Grund sei, dass Deutschland bei der Umsetzung von EU-Regularien in deutsches Recht besonders pedantisch vorgehe und dazu tendiere, die EU-Regeln sogar noch zu „vergolden“.

Die Politik habe die Problematiken auf dem Radar und höre auch auf den Rat von Experten, aber am Ende müssen auf die politischen Ankündigungen eben auch Taten bzw. Umsetzungen folgen, betonte Wambach.

Zusätzlich leidet die Wirtschaft unter den hohen Energiepreisen. Der Wegfall billigen Gases in Folge des Ukraine-Krieges habe sich negativ auf die Gas- und Strompreise ausgewirkt und diese hochschnellen lassen. „Es ist nicht klar, ob wir jemals wieder auf dieses günstige russische Pipeline-Gas zugreifen können“. Wambach warf die Frage auf, ob wir in Zukunft nicht eher mit dem teureren LNG rechnen müssten. In Folge würden die Gasrechnungen hoch bleiben. Hinzu käme die Umstellung auf die erneuerbaren Energien. „Deutschland ist nicht das Land mit dem meisten Wind und der meisten Sonne. Die Preise werden in Zukunft konsequenterweise relativ teurer sein, also teurer als in Ländern mit mehr Sonne oder Wind. Wir werden kein Billigenergieland mehr sein“, so Wambach. Man müsse sich vom Standortvorteil günstige Energie aus Russland verabschieden. Deutschland werde im Verhältnis zu anderen Industrienationen teurere Energie aufweisen. In Hinblick auf Wasserstoff als Energiequelle deutet Wambach mit Verweis auf alle vorhandenen Pläne an, dass 70 Prozent des in Deutschland voraussichtlich benötigten  Wasserstoffs aus anderen Regionen importiert werden müsse, beispielsweise aus Nordafrika. Dort könne Wasserstoff günstiger hergestellt werden

Unternehmen, die aber viel Energie verbrauchen und lediglich eine geringe Wertschöpfung vorweisen, werden vermutlich das Land verlassen bzw. Deutschland nicht als Standort wählen. Zurückzuführen sei dies auf den sog. „Daimler-Effekt“. Daimler nutzte – als gewisse Bauteile knapp waren – die verbliebenen Ressourcen vorwiegend für die hochpreisige S-Klasse, da in dieser qualitativ hochwertigsten Kategorie die höchsten Einnahmen erzielt werden. Zwischenzeitlich hat Daimler sogar verkündet, die Produktion der günstigeren A- und B-Klassen einzustellen. Folglich produziere Daimler nur noch Produkte mit hoher Wertschöpfung. Diesen Effekt werden wir auch in der energiesensiblen Wirtschaft sehen, erläuterte Wambach. Die Unternehmen mit einer geringen Wertschöpfung verlagern ihren Sitz weg aus der Bundesrepublik, während Unternehmen mit hoher Wertschöpfung in Deutschland angesiedelt bleiben.

Die Wirtschaft sei aber immer noch in vielen Bereichen hervorragend aufgestellt. In den Bereichen Innovation und Entwicklung ist der Standort gut aufgestellt, liegt in manchen Rankings vor den USA, China oder Japan.

Die Innovationsausgaben seien im letzten Jahrzehnt gestiegen, der Großteil werde im Segment Fahrzeugbau aufgewendet. Insbesondere stelle der Mittelstand einen Innovationstreiber dar, neue Erfindungen finden ihren Ursprung speziell in diesem Bereich. Hier beobachte man aber einen Rückgang der Innovationstätigkeit. Wambach appelliert – auch an die Regierung – bei den Förderprogrammen verstärkt auf Innovationen und besonders auf solche im Mittelstand zu achten.

Eine Diskussion der Energiepolitik könne nicht ohne ein Verständnis der Klimapolitik erfolgen. Der europäische Emissionshandel stellt seit dem Jahr 2005 das zentrale Klimaschutzinstrument der EU dar. Ziel sei die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen der teilnehmenden Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie. Das Emissionshandelssystem umfasst die Sektoren Stromerzeuger, Industrie und innereuropäischer Luftverkehr. Stromerzeuger und Industrieunternehmen erwerben Emissionszertifikate, welche die Unternehmen berechtigen, eine bestimmte Menge  Kohlenstoffdioxid (CO2) auszustoßen. Wambach unterstützt dieses System. Die Menge der ausgegebenen Zertifikate sei gedeckelt und sinke jedes Jahr, sodass man dadurch Sorge trage, dass die Klimaschutzziele eingehalten werden. Die Zertifikate sind handelbar, dadurch entstehe ein Preis für CO2, also ein Preis für Verschmutzung.

In den Sektoren Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude existierte ursprünglich kein Emissionshandel, sondern eine Lastenteilungsverordnung. Hier werden jedem europäischen Land Ziele vorgegeben und wenn diese nicht eingehalten werden, könne das Land einem anderen Land Ziele „abkaufen“.

Die EU hat jetzt allerdings für die Sektoren Gebäude und Verkehr ab dem Jahr 2027 einen eigenen Emissionshandel vorgesehen. Über die Einbeziehung des Bereichs Landwirtschaft wird gegenwärtig noch diskutiert. In Deutschland habe man im Jahr 2021 bereits für die Sektoren Verkehr und Gebäude einen nationalen Emissionshandel eingeführt. Der europäische Emissionshandel wirke. Auf europäischer (und auch nationaler) Ebene habe man klimapolitisch für die Industrie und im Strombereich die Ziele erreicht, während sich allerdings in den Sektoren Gebäude und Verkehr bisher kaum etwas bewegt habe, betont Wambach.

Der Blick über den großen Teich veranschauliche, Amerika habe einen anderen Weg gewählt. Hier werde im Rahmen des „Inflation Reduction Act“ massiv auf Subventionen gesetzt, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln und der Klimakrise zu begegnen, so Wambach. Studien besagen allerdings, dass dieser eingeschlagene Weg dreimal so teuer wie das europäische Vorgehen sei, da Subventionen immer nur einzelne Technologien fördern. Der europäische Weg der CO2-Preise hingegen setzt an der Quelle der Verschmutzung an und ist insofern technologieneutral.

Der geplante europäischen Emissionshandel für die Sektoren Verkehr und Gebäude ab dem Jahr 2027 werfe allerdings auch Probleme auf. Die Bundesrepublik weist  bereits ein nationales Emissionshandelssystem auf. Der Preis im Jahr 2024 betrage 45 € pro Tonne CO2. Dieser Preis solle dann bis 2026 auf 55 € bis 65 € pro Tonne CO2 steigen. Ab 2027 muss dann dieses System in das europäische überführt werden. Es sei aber nicht klar, wie sich der Preis entwickele. Wambach verweist auf Studien, welche einen Preis von 200 € bis 300 € pro Tonne CO2 vorsehen. Preise in Höhe von 200 € würden beispielsweise den nationalen Benzinpreis um 60 Cent erhöhen. Politisch gestalte sich dies problematisch, in Frankreich demonstrierten die Gelbwesten bereits gegen eine Benzinpreiserhöhung von 3 Cent. Der Appell des ZEW an Brüssel sei, die Kosten langsam über einen längeren Zeitraum steigen zu lassen, sodass die Bürger sich darauf einstellen können.

Wambach verweist für das Strommarktdesign der Zukunft auf die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministeriums vom August 2024. Die Forderungen beinhalten einen Investitionsrahmen für erneuerbare Energien und steuerbare Kapazitäten, lokale Signale für die Steuerung des lokalen Angebots und der lokalen Nachfrage sowie Flexibilität von Stromerzeugern und -nachfragern. Um die Versorgungssicherheit weiterhin zu gewährleisten, müssen steuerbare Kapazitäten in Form von Gas-Kraftwerken (Backup-Kraftwerke) die erneuerbaren Energien in Zeiten von wenig Wind und Sonne unterstützen. Ferner sollte die Wirtschaft in Zukunft auf flexiblere Produktionszyklen setzen. Um etwa in Stunden mit wenig Wind und Sonne einen geringeren Stromverbrauch zu generieren, könne ein Unternehmen seine Produktion einige Stunden am Tag aussetzen und würde hierfür beispielsweise eine Kompensation vom Staat erhalten, so Wambachs Vorschlag. Wambach präferiert im Übrigen für den deutschen Strommarkt regionale Preissysteme, da sie die regionale Flexibilität steigern und da sich die durch den starken Ausbau der erneuerbaren Energien erforderlichen deutlich erhöhten Redispatch-Maßnahmen als sehr kostspielig gestalten.

Abschließend verwies Prof. Wambach in seinem Vortrag auf die dringende Notwendigkeit, strukturelle Veränderungen, insbesondere im Energiesektor, einzugehen. Deutschland werde es nicht gelingen, die Steuern auf dem derzeitigen hohen Niveau zu halten. Hochqualifizierte Zuwanderer ziehe es vorwiegend dorthin, wo Steuern und Abgaben niedriger sind. Förderprogramme müssten stärker auf Forschung und Entwicklung ausgerichtet und Infrastrukturinvestitionen massiv ausgeweitet werden. Die Transformation benötige die richtigen Preissignale, um erfolgreich umgesetzt zu werden.