Nach der Wahl – Deutschland am Scheideweg
Rückblick auf die Vortragsveranstaltung mit Dr. habil. Thomas Petersen
am 27. Februar 2025
am 27. Februar 2025
Der habilitierte Historiker und Publizist Dr. Thomas Petersen berichtete am 27. Februar 2025 über wesentliche Trends und Wählerwanderungen, die sich in der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 manifestiert hatten. Petersen arbeitete bis zu deren Tod eng mit der Doyenne der Meinungsforschung, Elisabeth Noelle-Neumann, zusammen, und verantwortet noch heute am Institut für Demoskopie Allensbach als Projektleiter neue Studiendesigns zu allen gesellschaftlichen Fragen. Mit zahlreichen Publikationen zu Methoden der Meinungsforschung und aktuellen politischen Themen und als ehemaliger Präsident des Weltverbands der Demoskopen WAPOR sprach er aus einem tiefen Verständnis für die Demoskopie heraus.
Petersens Vortrag „Nach der Wahl – Deutschland am Scheideweg“ war in sechs Teile gegliedert. In der Einführung zeigte er sich verwundert über die hohe Abweichung zwischen den Allensbach-Vorhersagen für die Union am Vortag der Wahl und den tatsächlichen Wahlergebnissen (32% vs. 28,5%), während die Vorhersagen bei allen anderen Parteien sehr zutreffend waren. Selbst das knappe Ergebnis des Scheiterns an der 5%-Hürde von FDP und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hatte Allensbach zuverlässig getroffen.
Im zweiten Abschnitt führte er in die gemessene allgemeine Stimmung ein. Eine seit etlichen Jahrzehnten erhobene Silvester-Umfrage „Sehen Sie dem neuen Jahr mit Zuversicht oder Sorge entgegen?“ hat sich als guter Frühindikator für das wirtschaftliche Geschehen im Folgejahr entpuppt. Zum Jahresende 2024 zeigte sich eine pessimistische Grundstimmung am unteren Ende des bislang Gemessenen. Diese Verunsicherung konnte auch an rekordhohen Zustimmungswerten zur Aussage „Ich kann die Welt nicht mehr verstehen“ bestätigt werden.
Die Vortragsfolien finden Sie zum genaueren Studieren hier:
Nach der Wahl – Deutschland am Scheideweg – Dr. Thomas Petersen
Im dritten Abschnitt ging es um das Bild der Bundesregierung in der Bevölkerung. Während Zeiten der Krise in der Regel die „Stunde der Exekutive“ seien (engl. „rally around the flag“), urteilten zuletzt zwei Drittel der deutschen Bevölkerung, dass die Regierung die Lage nicht im Griff habe. Auch sei die Ampel zuletzt die unbeliebteste Regierung seit Gründung der Bundesrepublik gewesen.
Diese Stimmungslage zum parteipolitischen Klima müsse als außergewöhnlich betrachtet werden. Während die meisten Parteien in den letzten sechs Monaten recht stabile, wenn teils auch niedrige, Zustimmungswerte verzeichneten, stürzte das Ansehen grüner Politik regelrecht ab, wie Petersen im vierten Abschnitt an mehreren Grafiken zeigte. Sowohl das positive Ansehen schrumpfte stark, während die Ablehnung der Grünen Partei stark anstieg, besonders in den fünf neuen Bundesländern.
Interessant hierbei auch ein „Buhtest“. Auf die Frage, auf einer politischen Veranstaltung sei der Vertreter einer Partei vom Publikum ausgebuht worden, und ob das Gegenüber sich denken könne, von welcher Partei diese Person gewesen sei, antworteten zuletzt mehr Bürger mit „Die Grünen“ als mit „AfD“. Es zeige sich hier ein kultureller Graben zwischen einer selbstempfundenen akademischen Elite und drei Vierteln der Bevölkerung, die immer stärker negativ auf Bevormundung reagiere.
Im fünften Abschnitt zeigte Petersen einen Erklärungsansatz, warum etablierte Parteien sich an der Wahlurne zunehmend schwertun. Die Frage, ob man als Bürger Einfluss habe, bejahten bis 2021 mit 47% immer mehr Menschen. Danach kippte der Wert stark nach unten ab und liegt heute auf einem historisch niedrigen Niveau von 29%, ähnlich niedrig wie seit Ende der 1990er-Jahre. Gerade die AfD und das BSW profitierten von Protestwählern, die mit den etablierteren Parteien unzufrieden sind.
Im abschließenden Abschnitt zeigte sich Petersen besorgt über die seit 1990 am niedrigsten gemessene Zustimmungsrate von nur noch 40% zur Frage, ob man das Gefühl habe, seine Meinung frei äußern zu können. Diesbezüglich gibt es starke Abweichungen in Bezug auf die Parteipräferenz. Während 75% der Grünen sich immer noch frei fühlen in ihrer Meinungsäußerungen, trifft dies nur auf 11% der AfD-Wähler zu. Selbst bei FDP-Sympathisanten ist der Wert mit 28% historisch niedrig, während alle anderen Wähler um 40% liegen.
Es sei eine höhere journalistische Ethik vonnöten, um alle Meinungen im öffentlichen Diskurs abzubilden. Dem stehe entgegen, dass sich eine große Mehrheit der Journalisten grün oder links verorten und sich damit in einer Parallelwelt befänden, die wenig Überlapp mit dem Rest der Bevölkerung hätten. Als Gegenreaktion sei es mittlerweile populär, bewusst auf politische Korrektheit zu verzichten.
Unbeabsichtigt spannte Dr. Petersen damit den Bogen zur nächsten fwp-Veranstaltung mit Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof, der am 10. April 2025 über den Zustand der Meinungsfreiheit aus verfassungsrechtlicher Perspektive referieren wird.


